Trennungs- Scheidungsberatung und Mediation

ACT in der Trennungs- und Scheidungsberatung

Katrin Normann, Jürgen Wolf

1. Die Notwendigkeit der konzeptionellen Arbeit im Bereich Trennungs- und Scheidungsberatung

Kein Thema in der Beratung ist so energiezehrend wie der Bereich der Trennungs- und Scheidungsberatung. Kein Thema macht die Berater*innen so hilflos, wie die high conflict Beratung und bringt sie hierbei immer wieder an ihre Grenzen. Gleichzeitig ist es das Thema Trennung- und Scheidung, das einen erheblichen prozentualen Anteil der Anmeldungen in Beratungsstellen ausmacht. Daher ist es nicht verwunderlich, dass immer wieder nach hilfreichen Konzepten Ausschau gehalten wird, um der Ratlosigkeit und Hilflosigkeit der Berater*inne entgegen zu wirken. Angefangen von mediativen Methoden (Vgl. Duss von Werth 2011), über Methoden aus dem Psychodrama entlehnt (Vgl. Aichinger 2006), bis hin zu philosophisch-systemischen Ansätzen (Vgl. Ed Watzke 2008)), sowie systemische Verfahren. Leider sind die genannten Ansätze nicht umfassend genug oder zu komplex in ihrer Anwendung, so dass Praktiker*innen eher wieder zu ihren methodischen Eigenkreationen zurückkehren. Eine umfassende konzeptionelle Trennungs- und Scheidungsberatung, neben der Mediation, existiert bis heute nicht. Unter Berater*innen kommt es immer wieder zu nicht hilfreichen Diskussionen, ob Beratung überhaupt sinnvoll erscheint und wenn, wie eine effektive Beratung aussehen könnte. Insbesondere die Frage des passenden Settings rückt neuerdings vermehrt in den Fokus der Betrachtung. Was ist effektiver, die Einzelberatung oder die Arbeit mit beiden Eltern bzw. wie kann eine sinnvolle Mischung beider Settings und wenn, in welcher Reihenfolge erfolgen. Fast schon ein Glaubenskrieg.

Die bisherige Beratung erscheint hierbei oftmals zu sehr vernunftorientiert, kognitiv und lösungsorientiert und zu wenig emotionsfokussiert.

Nützlich erscheint es an diesem Punkt den Veränderungskriterien von Grawe (2000) zu folgen, wie er sie für Therapieprozesse formuliert hat, die aber in Beratungsprozessen gleichermaßen Gültigkeit haben (sprachlich angepasst an den beraterischen Kontext):

  • Therapeutische Beziehung: Die Qualität der Beziehung zwischen der Berater*in und dem Klienten trägt signifikant zu einem besseren oder schlechteren Ergebnis bei. Ressourcenaktivierung: Die Eigenarten, die die Klienten in die Beratung mitbringen, werden als positive Ressource für das therapeutische Vorgehen genutzt. Das betrifft vorhandene motivationale Bereitschaften, Fähigkeiten und Interessen der Klient*in.
  • Problemaktualisierung: Die Probleme, die in der Beratung verändert werden sollen, werden unmittelbar erfahrbar. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass Berater*in und Klient*in reale Situationen aufsuchen, in denen die Probleme auftreten, oder dass sie durch besondere therapeutische Techniken wie intensives Erzählen, Imaginationsübungen, Rollenspiele o.ä. die Probleme erlebnismäßig aktualisieren.
  • Motivationale Klärung: Die Beratung fördert mit geeigneten Maßnahmen, dass der Klient ein klareres Bewusstsein der Determinanten (Ursprünge, Hintergründe, aufrechterhaltende Faktoren) seines problematischen Erlebens und Verhaltens gewinnt.
  • Problembewältigung: Die Beratung unterstützt den Klienten mit bewährten problemspezifischen Maßnahmen (direkt oder indirekt) darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen.

An dieser Stelle erscheint es sinnvoll inne zu halten, einen Schritt zurück zu treten und sich an bereits bestehenden Methoden zu orientieren und von bereits erfolgreichen Erfahrungen, wenn auch bei anderen Themen, zu profitieren.

Unser Blick fällt seit einigen Jahren, trotz oder gerade wegen unserer ursprünglich systemischen Orientierung, auf die Konzepte der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie: Schematherapie; Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) und compassion focused Therapy (CFT). In der Umsetzung fündig wurden wir bei der ACT, unterstützt und flankiert von den beiden anderen genannten Ansätzen, die uns das notwendige diagnostische Verständnis erleichtern. Hilfreich auch das Transaktionale Stressmodell von Lazarus, das wir weiter unten beschreiben.

Aber zunächst zurück zum Ausgangspunkt, der akuten Trennungs-, Scheidungs- und Nachscheidungssituation.

2. In welcher Situation befinden sich Frauen und Männer in einer Trennungssituation?

Dem Statistischen Bundesamt (Destatis, 2017) zufolge wurden in Deutschland im Jahr 2015 rund 163.335 Ehen geschieden. Dabei waren 131.749 minderjährige Kinder von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Rund 35% aller geschlossenen Ehen werden innerhalb von 25 Jahren geschieden. Zwar sinken die Scheidungsraten seit 2005 tendenziell, dennoch sind sie noch immer deutlich höher als in den 2000er Jahren (Destatis, 2017). So nüchtern das statistische Bundesamt die Scheidungsraten Jahr für Jahr festhält, so emotional und belastend ist eine Scheidung meist für die betroffenen Personen. Eine Trennung bedeutet, tiefgreifende Einschnitte und Veränderungen für das ehemalige Paar. Die Reorganisation weitreichender Lebensbereiche muss in Folge einer Trennung sowohl praktisch umgesetzt als auch emotional verarbeitet werden. Zu diesen Veränderungen gehört maßgeblich der Abschied von einer Lebensvision und die Akzeptanz der Endgültigkeit einer Trennung. Wirtschaftliche Belastungen, zum Beispiel die Unterhaltung zweier Haushalte, und psychische Veränderungen, zum Beispiel die Umgestaltung von Familien- und Freundeskreis, müssen bewältigt werden (Kraul, Ratzke, Reich & Cierpka, 2008). Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass es Eltern vor hohe emotionale Herausforderungen stellt, zu entscheiden in welchem Haushalt sich das Kind oder die Kinder nach der Trennung hauptsächlich aufhalten sollen. Diese Entscheidungen sind nicht nur hoch komplex, sondern auch emotional sehr belastend. Ein Rückzug vom Partner bedeutet gleichzeitig einen teilweisen Rückzug vom Lebensalltag der eigenen Kinder. Immer wieder berichten Eltern von den Ängsten den Kontakt und somit die Beziehung zu ihren eigenen Kindern zu verlieren. Besonders in der anfänglichen Trennungszeit stellt dies einen Hauptbelastungsfaktor für beide Elternteile dar.

Trennung und Scheidung sind jedoch nicht nur von ihrem Erscheinungsbild besondere Belastungsfaktoren, sondern sind besonders von ihrer Qualität intensive Stressoren. Nach dem Tod eines Ehepartners gehören Scheidungen und Trennungen zu den größten Stressoren, die im Leben eines Menschen auftreten können. Verglichen mit verheirateten Personen, weisen Personen, die sich in einer akuten Trennungs- und Scheidungssituation befinden, nicht nur ein qualitativ höheres Stresslevel auf, sondern sie neigen auch verstärkt zum Konsum von Alkohol, sind vermehrt in Unfälle verwickelt und weisen sowohl eine höhere Sterblichkeitsrate als auch vermehrt körperliche sowie psychischen Belastungssymptome auf (vgl. Horwitz, White & Howell-White, 1996).

Drei-Phasenmodell der Scheidung

Kraul, Ratzke, Reich und Cierpka (2008) schlagen zur Gliederung des Scheidungsprozesses das Drei-Phasenmodell der Scheidung vor. Er unterteilt die „emotionale Scheidung“ in die Phasen der Ambivalenz, die Scheidungs- sowie die Nachscheidungsphase. Laut Kraul und Kollegen (2008) ist die Ambivalenzphase eine Zeit der Unsicherheit, in der eine Trennung erstmals in Erwägung gezogen wird. Die tatsächliche Trennungs- und Scheidungsphase ist durch Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und emotionale Reaktionen wie Wut und Ärger gekennzeichnet. Die Nachscheidungsphase hingegen ist maßgeblich durch die Akzeptanz der neuen Lebensrealität gekennzeichnet. Diese Phase zeichnet sich durch Trauer, Schmerzbewältigung und Neuorientierung aus. Um die emotionale Scheidung abschließen zu können, sind Trauer und Akzeptanz der Lage notwendig, denn „nur wenn der Mensch trauert, ist er in der Lage, das, was er verloren hat, nach einiger Zeit angemessen zu beurteilen und eine distanziertere Haltung zur Vergangenheit einzunehmen“ (Wallerstein & Blakeslee, 1989, S. 329).

3. Das Transaktionale Stressmodell von Lazarus

© Katrin Normann, Jürgen Wolf

Das Transaktionale Stressmodell von Lazarus (1984) sieht Stresssituationen als komplexe Wechselwirkungsprozesse zwischen den Anforderungen der Situation und der handelnden Person. Im Gegensatz zu früheren Stresstheorien ging Lazarus davon aus, dass nicht die (objektive) Beschaffenheit der Reize oder Situationen für die Stressreaktion von Bedeutung sind, sondern deren (subjektive) Bewertung durch den Betroffenen. Menschen können für einen bestimmten Stressor höchst unterschiedlich anfällig sein: Was für den einen Betroffenen Stress bedeutet, wird von einem anderen noch nicht als Stress empfunden.

Belastende Situationen können nach Lazarus als Herausforderung, oder Bedrohung erlebt werden. Wird der Stressor vom Klienten wahrgenommen, geht es entscheidend darum, wie er die Situation bewertet. Liegen für diese Situation Ressourcen vor, wird er die Lage eher als Herausforderung sehen und diese als zu bewältigen einschätzen.

Liegen aber für die Bewertung der zumeist plötzlich auftretenden Situation keine Ressourcen vor, wird die Einschätzung als Stress wahrgenommen.

Bei Trennungseltern kann davon ausgegangen werden, dass etliche Situationen die sich ihnen stellen zum ersten Mal erlebt werden und somit meist keine Ressourcen zur Verfügung stehen.

Neben der oben benannten Stress Theorie beschreibt die CFT (Vgl. Gilbert 2013) evolutionsbiologisch, wie es zu diesem Zustand kommen kann und was stattdessen hilfreich wäre. Hirnorganisch werden drei Areale unterschieden, die unsere eigene Evolution widerspiegeln. Der älteste Bereich ist das Alarmsystem, dass uns das Überleben bei Bedrohung sichert. Fühlt man sich existentiell bedroht, reagiert man mit Angriff, Flucht oder Erstarrung. Wird eine Situation als nicht akut bedrohlich erlebt, tritt das nächstältere System auf den Plan, unser Jäger- und Sammlerhirn, das sogenannte Aktionsareal, das dazu dient, kurzfristige Befriedigung zu erlangen bzw. langfristig Vorräte, Besitztümer und Vorteile anzuhäufen. Übersetzt auf den Trennungsprozess zeigt sich dies, wenn es um das Aushandeln möglichst großer Vorteile, die mit einer maximalen Kleinlichkeit an Zugeständnisse dem Anderen gegenüber, einhergeht. Erst wenn keine Bedrohung vorliegt und man zur Ruhe gekommen ist, wird der jüngste Bereich unseres Säugetierhirns aktiviert, der Bereich der Fürsorge, sowohl sich selbst, als auch dem Anderen gegenüber. Erst an diesem Punkt erfolgt eine Befriedung und Beruhigung der gesamten Dynamik. Erst an diesem Punkt kann Zufriedenheit, Glück und Leichtigkeit empfunden werden und statt Krieg Friede herrschen.

4. Diagnostische Ausgangslage

Wie oben beschrieben erzeugt die Scheidungssituation erhebliche Spannungen, die mit einer Vielzahl intensiver, meist ambivalenter Gefühle einhergeht. Insbesondere Trauer, Wut und Hilflosigkeit verbinden sich zu einem explosiven Gemisch und stehen den erhofften Gefühlen, Erleichterung, Befreiung und neuer Kraft diametral entgegen. Die Ist-Soll Diskrepanz, die bereits vor der Trennung bestand und deren Lösung die Hoffnung der Trennung in sich barg, wird oftmals nicht reduziert, sondern erhöht. Statt einer friedlichen Trennung mit glücklichem Neuanfang, entsteht mitunter die high conflict Situation. Trotz räumlicher Trennung wird so die emotionale Trennung verunmöglicht. Die früheren Partner sind emotional enger verbunden denn je, diesmal mit negativem Vorzeichen. Statt Friede, herrscht Krieg. Das Tragische daran, der Krieg wird unter der Überschrift des Kindeswohls geführt. Beide Beteiligten geben vor, nur das Beste zu wollen, der Andere sei schuld und sie können nicht anders, weil sie ja schließlich dazu gezwungen würden zu reagieren und zwar, entgegen ihrer eigenen Werte. In der emotional aufgeheizten high conflict Situation kommt es zur emotionalen Überreaktion. Hierbei triggern sich die Expartner gegenseitig, indem sie den Finger in die Wunde des Anderen legen. Das vermeintliche Gefühl von Macht und Kontrolle überdeckt kurzfristig die Hilflosigkeit. Beim Gegenüber wird dadurch das Schema der erlebten Kränkung reaktiviert, was als massiver Angriff auf den eigenen Selbstwert erlebt wird. Es geht nur noch ums emotionale Überleben, was zur Aktivierung der emotionalen Überlebensstrategien führt. Ohnmacht und Hilflosigkeit führen zum Gefühl der existentiellen Bedrohung. Der Andere wird beschämt und dämonisiert. Emotionen und Körperempfindungen werden als real erlebt, sind sie massiv unangenehm, wird alles darangesetzt, sie los zu werden. Ein rationales Handeln erscheint blockiert und nicht mehr möglich.

In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, zunächst diagnostisch einzuordnen, welche Konfliktdynamik vorliegt und welches damit einhergehende Areal aktiviert ist. Hilfreich erscheint die von Friedrich Glasl formulierte Einschätzung der Konflikthöhe, die den Grad der konkret erlebten Kränkung wiederspiegelt. Diese Einschätzung nimmt die Berater*in am ehesten aus einer Beobachterposition wahr. Entweder durch persönliche Teilnahme am beschleunigten Verfahren vor Gericht oder/und durch eine gemeinsame Sitzung mit beiden Eltern. Dies dient der diagnostischen Klärung des Bedrohungserlebens, was nur in der gemeinsamen Sitzung mit beiden Eltern möglich ist, da es um das konkrete Erleben der Bedrohung im Hier und Jetzt geht und nicht um das Imaginieren und dadurch Reaktivieren eines künstlich aufrechterhaltenen Bedrohungsszenarios. Wir neigen dazu, uns primär mit dem Bedauern des Vergangenen bzw. Sorge über die Zukunft aufzuhalten und die Gegenwart dadurch zu vermeiden. Wir sind permanent mit den maladaptiven Bewältigungsstrategien der Klienten konfrontiert: Vermeidung, Unterwerfung oder Überkompensation. Nur, wenn die Situation akzeptiert wird, ist eine Veränderung möglich. Dazu notwendig ist ein Ausschalten des Autopiloten und ein Erkennen unserer bisherigen Überlebensstrategien. Um dies zu verstehen bedarf es Psychoedukation, so dass die Betroffenen ihr Erleben besser einordnen und dadurch leichter akzeptieren können. Das impulsive System ist unser primär ausgelöstes System und die Grundlage unseres emotional erlebten Bedrohungserlebens. Um unsere Emotionalität besser regulieren zu können, muss das reflexive System aktiviert werden, wir müssen in eine beobachtende Expertenrolle kommen, um optional neue Entscheidungen unseres Tuns vornehmen zu können. Statt Reaktion tritt nun die selbstentschiedene Handlung, was unser Selbstwert steigert, da wir uns nicht fremdgesteuert und hilflos, sondern selbstwirksam erleben. Ab einem emotionalen Erregungsniveau von subjektiv erlebt 7 von 10 ist eine rationale Entscheidung nicht mehr möglich. Daher ist in der Sitzung mit beiden Eltern generell darauf zu achten, dass ein emotionaler Austausch weder vermieden, noch übertrieben wird. Nur die Erfahrung, eine emotional bedrohliche Situation gut überleben zu können, ausgelöst durch Konfrontation mit dem vermeintlichen Aggressor, ermöglicht eine Beruhigung und damit eine Befriedung. Ist das Erregungsniveau zu hoch, muss zunächst beruhigend eingewirkt werden, eventuell auch durch eine Unterbrechung der Sitzung, um so wieder Abstand zu gewinnen und sich selbst wieder zu beruhigen und dadurch die eigene Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen.

Von der diagnostischen Einschätzung, ob eine Regulierung überhaupt möglich ist, hängt das weitere Vorgehen und das entsprechende Setting der Beratung ab. Bei massiver Aktivierung des Alarmsystems nur einer der Beteiligten, ohne die Möglichkeit der Beruhigung, erscheinen weitere gemeinsame Sitzungen als nicht akzeptabel, da es sich in diesem Fall um eine permanente Stresssituation bis hin zur Retraumatisierung handelt.

In diesem Falle erscheint es notwendig einen sicheren Rahmen zu schaffen, um das Thema Selbstfürsorge zu fokussieren.

Ist das Konfliktniveau auf der Höhe der Aktivierung des Aktionssystems, sind gemeinsame Sitzungen eventuell sinnvoll, jedoch nur dann, wenn nicht immer neue Details ausgehandelt werden. In der gemeinsamen Sitzung geht es letztendlich um die Exposition auf der Erlebensebene, indem Situationen gestoppt und reflektiert werden. Es geht zunächst nicht um die Erarbeitung von Regelungen, da dadurch nur das Aktivierungssystem reaktiviert wird 7 und es zu einer Wiederholung der maladaptiven Reaktionsmuster kommt. Nach dem Motto „Beziehung vor Inhalt“, wird zunächst an einer Neuausrichtung der Beziehung zu sich und damit zum Gegenüber gearbeitet. Eine emotionale Trennung setzt letztendlich voraus, dass man emotional unabhängig vom Anderen und dessen Verhalten wird. Diese neu erworbene Unabhängigkeit wird in der Elternsitzung im Beisein des Andern erlebbar, neue Optionen des Handelns können erprobt und umgesetzt werden, um so neue Handlungsmuster zu etablieren. Ein Aushandeln auf der Inhaltsebene führt daher letztendlich zu keiner Befriedung. Man kann letztendlich endlos verhandeln, ohne jemals zu einem befriedenden Ergebnis zu gelangen. Auch in diesem Fall erscheint das Einzelsetting sinnvoll, um auf eine Befriedung hinzuwirken und vorzubereiten.

In der Einzelberatung geht es um das Erleben des Hier und Jetzt. Hierzu ist es notwendig zu verstehen, dass das Gegenüber eine Situation triggert, die als bedrohlicher erlebt wird, als sie faktisch ist. Hierzu bedarf es der Validierung der Emotionen, der Exposition der Situation in der Einzelsitzung, durch das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks, statt dem Anhaften an Vergangenheit und Zukunft. Voraussetzung ist das Schaffen eines geschützten Raumes, eines sicheren Ortes, in dem das notwendige Emotionscoaching möglich ist.

In der Einzelsitzung geht es, neben dem Emotionscoaching darum, Verständnis für die eigene Situation zu entwickeln und zunehmend mehr Akzeptanz zu entwickeln. Der Fokus wird vom Andern und dessen Verhalten auf sich selbst und die eigenen Möglichkeiten gelenkt. Zu diesem Zweck greifen wir auf die ACT zurück.

5. ACT Theorie und Praxis

© Katrin Normann, Jürgen Wolf

Die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) ist ein Behandlungsansatz, bei der verhaltenstherapeutische Techniken mit achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Strategien und mit Interventionen zur Werteklärung kombiniert werden. Der therapeutische Ansatz wurde maßgeblich von dem US-amerikanischen Psychologen Steven C. Hayes entwickelt.

Ziel der ACT ist es, Menschen in schwierigen Lebenssituationen, wieder in die Lage zu versetzen, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu leben, gleichzeitig aber auch Schmerzen zu akzeptieren, die unweigerlich dazu gehören. ACT bezieht sich auf sechs Schlüsselprozesse. Diese sind: flexible Aufmerksamkeit auf den Augenblick, kognitive Defusion, Akzeptanz, das Selbst als Kontext, eigene Werte und engagiertes Handeln.

Lassen Sie uns im Folgenden im Praxisbezug zur Trennungs- und Scheidungsberatung erläutern, was die Bedeutung der einzelnen Schlüsselprozesse in diesem Arbeitsfeld bedeutet.

Gegenwärtigkeit

Die meisten Klienten kommen zu uns in die Beratung, sitzen auf ihren Stühlen, sind aber gleichzeitig nicht da. Sie befinden sich in all den Szenen der Vergangenheit, oder aber in denen der Zukunft. Im gegenwärtigen Augenblick geschieht meist nichts -außer all der Gedanken, die den Klient*innen beschäftigen und entsprechende Gefühle auslösen. Die Reaktion auf all dies ist der Stress.

Es geht also darum, in den Sitzungen die Betroffenen zunächst zu unterstützen im gegenwärtigen Augenblick anzukommen, sich erst einmal zu spüren und wahr zu nehmen, was gerade Jetzt ist. Es geht noch nicht um Reaktionen, Handlungen, oder gar Lösungen. Natürlich sollten sich Berater*innen auch selbst die Frage stellen, kann und will ich achtsamkeitsorientiert arbeiten, entspricht das meiner Beraterhaltung. Wenn wir nicht im gegenwärtigen Augenblick sein können, weil wir von persönlichen Themen abgelenkt sind, sind wir kein authentisches Gegenüber für unsere Klienten. Hier geht es auch um die Selbstfürsorge des Beraters.

Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet“ Annehmen was ist“. Gelingt es, unsere Klient*innen zu unterstützen, die Erlebnisse das sein zu lassen was sie sind, nämlich Teil des gelebten Lebens, nicht mehr länger gegen die Gefühle anzukämpfen, nicht länger mit ihnen zu ringen, Frieden mit ihnen zu schließen, haben sie einen wesentlichen Entwicklungsschritt für sich gemacht. Unserer Meinung nach ist der ständige innere Kampf gegen all die eigenen Gefühle, als auch der „Kampf“ über das Gericht sein Recht zu erhalten, ein Hindernis auf dem Weg zur Akzeptanz. Im Gegenteil, es entsteht immer mehr eine innere Verhärtung. Es wird immer mehr geschaut, wie kann ich meine Position durchsetzen, als viel mehr zu akzeptieren was Ist, um dann den Blick darauf zu richten, wie mit diesen, eigenen Gefühlen umgegangen werden kann.

Defusion

Defusion bedeutet sich nicht zu verbinden mit den Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen. In der belastenden Trennungssituation äußern die Klient*innen, (je strittiger je eindrücklicher), ihre nicht vorhandene Selbstwirksamkeit, in dem sie über ihre Hilflosigkeit und Machtlosigkeit, keinen Einfluss zu haben scheinen. Häufig werden diese Gedanken durch alte Konstrukte oder Schemata getriggert. Der ehemalige Partner ist mitunter nur Auslöser ganz persönlicher Themen und damit verbundenen Gedanken. Hier können wir in der Beratung ansetzen, in dem wir Methoden und Techniken anbieten, wie der Ratsuchende unabhängiger von all den belastenden Gedanken werden kann. Denn wir wissen, Gedanken werden zu Gefühlen und Gefühle führen zu Handlungen.

So kommt die Klient*in zu sich und ihren Themen. Dadurch kann sich der Schritt in die „Selbst- Ständigkeit“ entwickeln. dadurch wiederum die emotionale Trennung aus der Partnerschaft. Um mit Verena Kast zu sprechen, er kommt vom Wir Selbst, zum Ich Selbst.

Selbst im Kontext

Klienten in Krisen haben oft nur Kontakt mit einem Selbst, nämlich dem, in dem sie sich augenblicklich vorwiegend befinden. Nehmen wir als Beispiel Klient*innen, die in ihrer Rolle als Streitende, auf ihr Recht, auf ihre Position beharren. Sie wollen uns hartnäckig beweisen, dass sie nicht anders handeln können als so wie sie gerade agieren, ja geradezu gezwungen sind, so zu handeln, wie sie es tun.

Fragen nach den unterschiedlichen Rollen in anderen Kontexten ihres Lebens und den damit verbundenen Wahrnehmungen-emotional, gedanklich, körperlich, zeigen ganz andere Selbst- Anteile, die der Klient sichtlich erleichtert wahrnimmt. So erlebt der Klient, ich bin mehr als meine jetzige Selbst- Erzählung. Aus diesem Erleben heraus lassen sich meist Ableitungen für eine andere Sichtweise im Selbst des Streitenden entwickeln.

Es geht in der ACT stets um Hinführung und Akzeptanz des Selbst, so vielfältig es auch sein mag. Häufig lernen die Klient*innen ihre persönliche Vielfalt erst durch die Beratung kennen. Dadurch können mitunter Ressourcen aktiviert werden, die lange Zeit verborgen waren.

Werte

Besonders in Krisen gerät die Richtung, die ein Leben nehmen soll, völlig aus den Augen. Im Vordergrund steht der Schmerz, die Wut, vielleicht auch Handlungen, die eigentlich den eigenen Werte entgegenstehen. Ihnen allen sind sicherlich genügend Klienten vor Augen, die meinen, sie müssten erneut einen Antrag beim Familiengericht stellen, um den Kampf zu gewinnen. All dies bezieht sich gegen den Anderen und nicht auf das eigene Wertesystem. Gelingt es durch die Beratung die Klient*in zu unterstützen, ihrem Leben eine Richtung zu geben, in das es sich entwickeln soll, können sie entdecken, was für ihr Leben wirklich wichtig ist, nach welchen Werten sich das Leben ausrichten soll. Es wird quasi der eigene Kompass hergestellt, der zu einem selbstbestimmten Leben führen kann.

Handeln

Werteorientiertes Handeln bedeutet sich auch in die Richtung zu bewegen, in die ich will. Die Erfahrung mit Klienten in Trennungssituationen zeigt, dass sie sich häufig vom Leben führen lassen und nicht sie das Leben lenken. Meist bedingt durch die Krise und den damit verbundenen Anforderungen, sowie dem überflutet sein von Gefühlen, die im Alltag ständig neu getriggert werden können. Verständlicherweise braucht es in aktuellen Krisen Zeit und immer wieder auch Ruhephasen, um an der persönlichen Entwicklung arbeiten zu können. Hierfür kann die Beratung Raum geben.

6. Folgerungen für die Trennungs- und Scheidungsberatung

Wie oben beschrieben ist die ACT zunächst kein Konzept für die Trennungs- Scheidungsberatung im Eigentlichen, sondern unterstützt den Klienten ein werteorientiertes und dadurch ein zufriedeneres Leben zu führen. Die Erfahrung zeigt, dass Klienten, die den Prozess der ACT erlebt haben, sich in ihrer Selbstwirksamkeit deutlich gestärkt fühlten.

Durch diese Veränderung kann sich, systemisch gesehen, die Dynamik des Gesamtprozesses ändern.

Die Befriedung der elterlichen Auseinandersetzung liegt hier tatsächlich nicht auf der zu kooperierenden Elterneben, sondern viel mehr auf der individuellen Haltung zu sich und dem Leben.

Hierin sehen die Autoren das wesentliche Ziel der ACT in der Trennungs- und Scheidungsberatung.

Literatur:

Aichinger, A. (2006): Die Sehnsucht des kleinen Bären. In: Informationen für Erziehungsberatungsstellen 1/2006

Duss-von Werdt, J. (2011): Einführung in die Mediation. Carl Auer

Ed Watzke, E (2008): Wahrscheinlich hat diese Geschichte gar nichts mit Ihnen zu tun. Forum Verlag

Gilbert, P.; Plata, G. (2013): Compassion Focused Therapy. Junfermann

Glasl, F (2007) Selbsthilfe in Konflikten. Haupt

Grawe, K. (2000): Psychologische Therapie. Hogrefe

Harris, R (2009) ACT leicht gemacht. Arbor

Kast, V. (2011). Natürliche Trauer-komplizierte Trauer. Psychotherapie-Wissenschaft, 1(2)

Lazarus, R. S. (1991). Progress on a cognitive-motivational-relational theory of emotion. The American Psychologist, 46(8)

Normann, K. (2018) Gelassen in turbulenten Zeiten. Focus Beratung

Stephen, H. (2012) Akzeptanz & Commitment- Therapie. Junfermann

Waadt, M. (2018) Das Selbsthilfebuch gegen Burnout. Hogrefe

Wengenroth, M. (2017) Therapie- Tools Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) Beltz